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High Five mit Roman Härer

Roman Härer ist Creative Director, Mitbegründer und Geschäftsführer der Bildagentur plainpicture, außerdem CSR-Manager und Certified Leader in Sustainability.

Er sprach mit uns über die Entwicklung der Stockfotografie, AI und Nachhaltigkeit in der Fotografie.

Porträtfoto von Roman Härer vor schwarzem Hintergrund

Angela Elbing
12. Juni 2023

Viel Spaß mit Romans Gedanken über die Zukunft…

1. Lieber Roman, was war für dich der Auslöser, zusammen mit Astrid Hermann und Valentin Ascher plainpicture zu gründen?

Nach jahrelanger Freelance-Tätigkeiten in der Werbe- und Verlagsindustrie, ständig auf der Suche nach neuen Trends, Themen und Bildsprachen, entwickelte sich Anfang der 2000er Jahre in der Übergangsphase vom analogen zum digitalen Zeitalter sowohl eine große Nachfrage nach neuen Visualisierungskonzepten als auch nach dynamischen und effizienten Vertriebswegen in Form von Online-Suchmaschinen/ Datenbanken. Mit unseren Vorkenntnissen und Know-how in der Fotografie-Branche war dann somit der erste Stein gelegt.

2. Was sind für dich die Vor- und Nachteile von Stockfotografie gegenüber einem individuell geplanten Shooting?

Das offensichtlichste Merkmal ist die Dynamik und Schnelligkeit, womit die Stockfotografie einem individuell geplanten Shooting, oft einhergehend mit langer Anlaufzeit, Planung und mit teilweise ungewissem Ausgang, überlegen ist, soweit der Lizenznehmer sein Wunschbild in einer Datenbank findet.

Offensichtliche Nachteile der Stockfotografie: austauschbar, oft ordinär, „verstaubt“ und es fehlen häufig die persönliche Note, der individuelle Charakter und die persönliche Bildsprache der Fotograf*innen. Denn ein Stockbild sollte bestenfalls mehrere Male verkauft werden, damit sich das Bild „rechnet“ für die Agentur und Fotograf*innen (die Fotograf*innen-Anteile sind bei vielen Bildagenturen oft lächerlich klein und nur durch Massenverkäufe zu kompensieren). So eine Rentabilitätsrechnung wiederum führt dazu, dass diese Bilder für möglichst viele unterschiedliche Anwendungsmöglichkeiten und Kunden funktionieren sollten.

Der Anspruch eines Stockbildes ist: Das Bild muss per se austauschbarer werden. Die Folge: langweilig, oft ordinär und häufig nicht zeitlos.

3. Was unterscheidet plainpicture von anderen Bildagenturen?

Die Summe aus einzigartiger Bildsprache und differenziertem Marketing; eine Agentur wie plainpicture mit einem Fundus von progressiver, künstlerischer und innovativer Fotografie entsteht aus der permanenten Weiterentwicklung einer selbstauferlegten und anspruchsvollen Bildsprache. D. h. Trends und Themen-Recherche, gepaart mit einem sensitiven Herantasten und einer teilweise gewagten Kuration großartiger Fotografien unserer Fotograf*innen-Persönlichkeiten schärfen das typische plainpicture-Profil. Letztendlich muss dieses Profil überzeugend nach Außen kommuniziert, verbreitet und angenommen werden.

4. Würdest du generell von der Nutzung lizenzfreier Bilder abraten?

Zuerst sollten wir den Begriff „lizenzfreie Bilder“ definieren. Auf dem Markt existieren unterschiedliche lizenzfreie Modelle mit teilweise undurchsichtigen Nutzungsrechten. Lizenzfrei bedeutet nicht zwangsläufig „frei und kostenlos“. Hier kommt eine Vereinfachung: Annähernd alle Bildagenturen bieten das gängigste Modell von lizenzfreien Bildern an: das „Royalty Free“ oder auch „RF“ genannt. Für einen Fixpreis kann das Bild beliebig oft und zeitlich unbefristet genutzt werden. In der Regel sind bei einem „RF“ alle Rechte geklärt: Model Release, die Rechte Dritter, etc…

Sonstige „lizenzfreie oder kostenlose Bilder“ z. B. über unsplash.com zu beziehen kann durchaus Tücken haben: der rechtliche Status der angebotenen Bilder ist nicht zwangsläufig geklärt und/oder nicht immer ganz transparent. Das Portal und die Urheber*in übertragen den Nutzer*innen die Verantwortung. Diese könnten dafür im schlimmsten Fall belangt werden, soweit entsprechende juristische Folgeprobleme auftauchen, wie Verletzung von Persönlichkeitsrechten und mehr.

Ich würde definitiv von der Nutzung kostenloser oder freier Bilder abraten, sobald kritische Bild-Merkmale zum Tragen kommen wie z. B. erkennbare Personen, ungeklärte Räumlichkeiten und Trademarks, um juristischen Problemen aus dem Weg zu gehen. Häufig werden Fotografien von abgebildeten Personen ohne deren Wissen angeboten. Leider existieren viele kostenlose Bilder im Netz ohne Rechte-Klärung. Es geht hier nicht nur um das Recht am eigenen Bild, sondern auch um einen fairen und verantwortungsvollen Umgang und Respekt miteinander im nachhaltigen Sinne.

5. In Zeiten von AI und Print-Sterben: Wo geht es hin mit der (Stock-) Fotografie?

Die Bildagentur-Branche hat ihren Zenit vor Jahren überschritten. Preisdumping und kostenlose Bilder fördern diese Negativ-Entwicklung.
Stockagentur-Produktionen sind weniger rentabel geworden und anspruchsvolle Stockfotografie lohnt sich nicht mehr wirklich, weil selten die Produktionskosten und der persönliche Einsatz der Fotograf*innen und der Agentur monetär aufgefangen werden können im Gegensatz zu der einen oder anderen austauschbaren und profillosen industriell-gefertigten Produktion. Denn es scheint so, dass sich einzelne Low-Budget-Massen-Produktionen noch lohnen. Gleichzeitig müssen, um ökonomisch Schritt halten zu können, neue Techniken und Lösungswege her. Und dazu gehört auch der Schritt in Richtung AI.

Wohin die Reise geht ist Spekulation, aber eins ist sicher: AI wird sich in vielen Bereichen etablieren und wird sicherlich ihre Nische in der Fotografie finden, aber niemals die Autoren-Fotografie ersetzten können.

AI wird definitiv einen großen Teil der Stockfotografie auf den Kopf stellen. Bei vielen großen Agenturen im Entwicklungsprozess fest verankert, wird AI auf Kunden-Wunsch und Knopfdruck homogene Szenarien neu generieren und Bilder für entsprechende Anwendungsmöglichkeit erschaffen (Ganz aktuell in der Beta-Version „Adobe Firefly“ von Adobe in Photoshop bereits integriert). Künstliche Modelle werden in der AI reale Menschen ersetzen und somit den rechtlichen Stress- wie auch Kostenfaktor „Modelle“ überflüssig machen. Aktuell gibt es aber noch massiven Klärungsbedarf, wie der Umgang mit den Copyrights gestaltet werden soll.

Positiv gedacht: Fotograf*innen nutzen die AI und werden zu „Architekt*innen“, kreieren und entwickeln diese AI-Vorlagen eigenständig weiter und erstellen Szenarien für ihre Kundschaft. Somit wird die Frage des Copyrights hinfällig.

Bild eines Nachthimmels

6. Würdest du heute nochmal Fotografie studieren?

In der aktuellen Form und Ausprägung eher nicht. Das klassische Fotografie-Studium ist meiner Auffassung nach etwas verstaubt, zu eindimensional und zu selbstfixiert, zu statisch und kann leider den aktuellen Entwicklungen und zukünftigen Herausforderungen nicht gerecht werden. Es bedarf einer grundlegenden Hochschul-Reform. Ich halte es auch für ein strukturelles Problem, Professor*innen auf Lebenszeit zu berufen. Dies unterstützt erst recht die Trägheit des Systems und sie hinken so in der Regel aktuellen Entwicklungen oft hinterher. Die perspektivische Herausforderungen, einhergehend mit aktuellen Problemstellungen und Entwicklungen, sind enorm und reichen weit über das Medium Fotografie hinaus. Oft genug erlebe ich, dass Fotograf*innen zu stark nur auf ihr eigenes Medium Fotografie fixiert sind, sich selber somit enorm begrenzen und beschneiden. Ein Medium ist und bleibt nur ein Mittel zum Zweck…

Es müsste eher ein Studiengang entwickelt werden, der diverse moderne, relevante, periphere Bereiche und Medien anbietet und zusammenführt, die aktuell gar nicht oder unterrepräsentiert sind, z.B. Strukturelles und künstlerisches Denken, mehr Gestaltungslehre und Medientechniken, Kunst/Designgeschichte, Digital Management und BWL, Ethik und Transformationsdesign, etc…

Wer sich dann in die eine oder andere Richtung wie Fotografie, Grafik, Illustration usw. spezialisiert und fokussiert, würde zumindest eine mediale, zeitgemäße, wirtschaftlich ausgerichtete und horizonterweiternde Spezialisierung auf Augenhöhe mit aktuellen Themen und Entwicklungen anbieten können.

7. Was passiert in der nahen Zukunft bei dir?

Ich habe mir zur Aufgabe gemacht, aufgrund der unausweichlichen globalen Entwicklungen und Dringlichkeit, meine Expertise sinnstiftend weiter auszubauen in Richtung Transformationsdesign. Das Thema Nachhaltigkeit wird zu massiven ökonomischen, ökologischen und sozialen Umwälzungen führen. Alle Branchen werden gleichermaßen davon betroffen sein und werden Verantwortung übernehmen müssen mit einer überzeugenden und modernen Bildsprache, die auf der Höhe der Zeit ist. Um einer fundierten und gezielten Begleitung gerecht zu werden, habe ich eine perspektivische Weiterbildung zum „CSR-Manager“ sowie „Certified Leader in Sustainability“ absolviert und möchte dazu beitragen, die Fotografie-Branche in naher Zukunft mit meiner Unterstützung wettbewerbsfähiger und zukunftsorientierter in Richtung Nachhaltigkeit zu begleiten. Als Creative Director und Verfasser von diversen Fotografie- und Bildsprachen-Briefings werde ich Seminare anbieten, in denen wir zusammen Konzepte und Strategien unter anderem mit modernen Nachhaltigkeits-Themen erarbeiten.
Aktuell herrscht in der Gesellschaft eine „stock“-steife und tradierte Bildvorstellung vor. Motive sind fast durchgängig überfällig, zu plumpen Klischees zerfallen, definitiv nicht überzeugend, geschweige denn authentisch. Die Fotografie-Branche, die Werbung, die Kreativ-Szene im Allgemeinen, sowie alle anderen Medienschaffende müssen sich den neuen zu erwartenden Zukunfts-Szenarien stellen und zeitgemäße sowie schlüssige, nachhaltige Visualisierungs-Konzepte erarbeiten.
Und das muss sich ändern: „Wir visualisieren gesellschaftliche Transformation“ über emphatisch-überzeugende Bildinhalte und moderne Bildsprachen. Wir schaffen so eine positive und zeitgemäße Verbildlichung der Menschlichkeit, der Biodiversität und anderen angrenzenden Nachhaltigkeits-Themen.

Nicht nur die visuelle Kommunikation muss Verantwortung und Nachhaltigkeit transportieren, ebenso der Mensch und die Gestalter*innen selbst müssen ein Teil der Kette werden, um überzeugende Arbeit abliefern zu können. Ansonsten entstehen nur leeren Hülsen, was Fotograf*innen sowie Illustrator*innen kurzfristig an der Wettbewerbsfähigkeit eher hindern wird statt fördern. Was wir aktuell erleben, sind größtenteils „Greenwashing“ oder Katastrophenbilder, die oft zur Abstumpfung führen und somit selten zielführend sind.

Fazit und Stichwort „Erneuerbare Fotografie“: Wir brauchen eine moderne, überzeugende und starke Strategie für annähernd alle Themenbereiche. Nachhaltige Fotograf*innen/Illustrator*innen visualisieren Transformation für die unternehmerische Nachhaltigkeits-Kommunikation und für eine Gesellschaft im Wandel.

alle Bilder: Roman Härer

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